
BETTERPLAZES
BETTERPLAZES / 2019 / MUSIKTHEATER / UA 14.02.2020 / NEUKÖLLNER OPER BERLIN
ETWA 60 MINUTEN
Timo und Sven sind Stars, für ein echt spezielles Publikum. Sie sind jung, mutig, kreativ, und sie gestalten ihren Kiez tatkräftig (mit). Kurz: sie sind Sprayer, und was sie tun, wird gefeiert. Etwa von Justin, der seine Helden gern auch im Netz postet. Und sie darin, wie das Wort schon sagt, fängt.
Und da wir in Berlin sind: was wäre die Stadt ohne einen Google Campus, und was Xberg ohne ein paar Leute, die dafür wenig Sympathien aufbringen. Was Helden wie Timo und Sven eine Steilvorlage gibt und jede Menge Möglichkeiten, mit dem Giganten und dem deutschen Rechtsstaat in Berührung zu kommen.
Die investigative Journalistin Anna Catherin Loll hat sich im Auftrag der Neuköllner Oper in den diversen Szenen dieser Stadt umgehört und ein Stück über den Widerstand gegen Google&Co. und die Kraft von Utopien geschrieben.
Einer der klügsten und weitsichtigsten Abende der Neuköllner Oper in den letzten Jahren (...) und hochsympathisch. [Kai Luehrs-Kaiser]
Die Musik der erst 24-jährigen Komponistin Carlotta Rabea Joachim ist rasant und eingängig. Live gespielt entsteht der Sound einer Stadt im Dauerkonflikt. [Jonas Bickelmann]
Rabea, Du arbeitest In Deiner Musik viel mit Tiergeräuschen oder anderen eigentlich nicht genuin musikalischen Effekten. Ist das auch eine Form von „Widerstand"? Wenn ja, wogegen?
In meiner Musik sind die heterogensten stilistischen Mittel gleichberechtigt nebeneinander möglich. Das wirkt oft eigenwillig, anarchistisch und widerständig. Ich spiele damit, Hörerwartungen zu erzeugen, um sie dann zu erfüllen und nicht zu erfüllen. Nichts ist, wie es scheint. Das hat im Bachelorstudium angefangen, als ich mich von den scheinbaren stilistischen "Gesetzen" und "Grenzen" der Neuen Musik (Hauptfach) und der Popmusik (Nebenfach) erdrückt fühlte.
Ich weiß noch, wie ich mich mehrere Monate lang gesträubt habe, einen kurzen Popsong zu schreiben.
Dann bin ich auf die Aufnahme eines markerschütternden Pferdewieherns gestoßen, habe mir lauter extrem schlechte Samples zusammengesucht und einen Song produziert, in dem es um ein Pferd geht, das verkauft wird, weil es nicht spricht. Ich habe quasi alles zusammengeworfen, was ich "doof" fand, um die "doofe" Aufgabe zu erledigen. Ich mag Pferde nicht, seit in meiner Kindheit alle anderen Mädchen wahnsinnig fasziniert waren von diesen großen, stinkenden Tieren. Das konnte ich nicht nachvollziehen, dafür zähle ich zu den Esel-Enthusiasten. Es war sehr lustig, den Pferde-Song zu produzieren und ich habe bei der Aufführung dieses "Werks" einen von einem Musikwissenschaftler freundlicherweise für mich verfassten, extrem verkopften Text vorlesen dürfen, mit sämtlichen Zitaten Adornos, in denen das Wort "Pferd" vorkommt. Das war unfassbar befreiend – und es war definitiv eine humorvolle Protestaktion.
Mittlerweile muss ich mich von nichts mehr befreien. Es ist mir das Wichtigste geworden, spannende und emotional wirksame Stücke zu komponieren. Dazu sind die Trinkgeräusche eines Dackels aber nach wie vor ebenso geeignet wie die komplexen Mittel der Neuen Musik. Und ich bin nach wie vor gerne albern.
